I know of no single factor that more greatly affects our ability to perform than the image we have of ourselves. (..) The most dramatic changes that take place…occur when you abandon a concept of self which had previously limited your performance. My job is to let go of the concepts and limiting images which prevent me from perceiving and expressing my greatest potential.”


(Timothy Gallwey, author of Inner Game of Tennis; in The Total Runner by Dr. Jerry Lynch)

Mittwoch, 26. September 2012

Sag "Lücke", dann sprinte ich.

Ich bin spät dran und so schlüpfe ich besonders leise in die BMW Niederlassung auf der Hanauer Landstraße. Vorne wird gerade eine Staffel vorgestellt. Netterweise hat der Zeugwart mir einen Platz frei gehalten. 
Eigentlich wollte ich heute mit den Vereinsmädels laufen gehen, aber ich arbeite zu lange und so laufen sie alleine und ich schleiche mich neben den Zeugwart. Heute findet der nächste Expertentalk statt. 

Gerade rechtzeitig, als Dieter Baumann die Bühne betritt und den heutigen Vortrag beginnt, habe ich Platz genommen und es mir gemütlich gemacht. Timing ist alles. Vorher höre ich noch auf einem Ohr, dass ich 80.000EUR Prämie kassiere, wenn ich in 2:19:xxStd. ins Ziel laufe. Gut. Ist notiert... ich werde einfach mal schauen, was sich machen läßt. 

Dieter ist sich unschlüssig, ob er den prall gefüllten Saal dutzen oder sietzen soll. Das macht ihn gleich sympathisch, finde ich. Genauso wie sein Dialekt. Herrlich. 
Er bitte den Moderator ihn nach 60Minuten mit dem Hinweis "Lücke" darauf aufmerksam zu machen, dass eine Stunde rum ist. Wenn er das Wort Lücke hört, dann sprintet er, so seine Erklärung dazu.



Dieter beginnt mit uns, seinem Publikum und geht mit dem Mikro rum, um zu erfragen wer sich was für den Frankfurt Marathon vorgenommen hat und wie viele lange Läufe bereits absolviert wurden. Sabine, die recht weit vorne sitzt, berichtet von einer Fußoperation und bisher nur drei langen Läufen. Nathalie dagegen beeindruckt Dieter sichtlich, als sie auf die Frage mit "10 lange Läufe" antwortet. Und als sie erzählt, dass es ihre Marathon Premiere ist in 31 Tagen, kriegt sie praktisch die Baumann Garantie fürs Finish. An unseren Stühlen wurden Luftballons mit Zielzeiten befestigt. Allerdings merke ich das erst jetzt... und so geht es wohl noch ein paar anderen. Viele sitzen "falsch" und werden darauf hingewiesen, dass sie sich im Startblock besser einreihen müssen. 

Dieter Baumann ruft dem Saal zu, dass wir die Elite sind. Wer im Bundesgebiet kann schon Marathon laufen? Wir sollen uns bewußt sein, was wir leisten. 
Ich schmunzel darüber... Elite? Hier sitzen sicherlich ein paar ziemlich elitäre Läufer im Raum. Vor mit zum Beispiel sitzt eine Dame die sich später auf die Frage, wer schon mehr als 10 Marathonläufe absolviert hat, melden wird. Gut, ich weiß natürlich nicht, in welcher Zeit... aber im Endeffekt ist das auch egal. 10Marathonläufe sind beachtlich. Das ist Elite. 

Wir erfahren wie die letzten 31 Tage bis zum Frankfurt Marathon am Besten zu gestalten sind. Lange Läufe, Fahrtspiel, ein Halbmarathon im Renntempo und dann Luft dranlassen. Das ist mein neuer Lieblingsbegriff wenn es um Sport geht. Die Hauptnachricht von Dieter ist, bloß nicht zuviel machen. Wunderbar. Das klingt genau nach meinem Geschmack. Training kann man nicht aufholen, wenn die Vorbereitung nicht gut lief, dann muß der Athlet mutig sein und sein Ziel korrigieren. Dann paßt's auch wieder mit der Vorbereitung. 

Sabine ist bei seinem Vortrag übrigens ein gefundenes Fressen. Dieter spricht sie heute Abend des öfteren an. 

Ob wir wissen, wie wir den HM vor dem Marathon laufen sollen, werden wir gefragt. Natürlich... im Marathon Renntempo, antwortet der Saal und Dieter Baumann fragt uns, ob wir auch wissen, wie sich das anfühlen wird. Bescheuert, meint er. Wir hätten danach nicht das Gefühl, dass wir noch weiterlaufen könnten. Aber das sei normal, und wir sollten dann einfach daran denken, "wenn es sich bescheuert anfühlt, hat der Baumann gesagt, ich bin gut trainiert." 

Dieter erzählt herzerfrischende Geschichten aus seinem Rennalltag, aus längst vergangenen Tagen, teilt uns mit, dass sich das Optimum vor einem Wettkampf entfalten muß und fleht uns an, dass wir normal essen sollen, ohne Diät. Für uns "normale Elite" ist jede kohlehydratreiche Ernährung vor einem Wettkampf nicht notwendig, eher kontraproduktiv, er kann sich nicht vorstellen morgens ein Stückle Lachs zu verspeisen. Ich schließe mich spontan an. 

Dieter motiviert den Saal, als wenn es kein morgen gäbe. "Ihr seid alle Profis" läßt er uns wissen, er sieht es an unserer Haltung, er sieht es in unseren Augen. Wir sind überzeugt von dem was wir machen wollen, wir bringen alles unter einen Hut. Offensichtlich kennt Dieter Baumann sich aus? Da bin ich ja froh. 

Mittlerweile sind wir zeitlich am Rennwochenende angekommen. Es ist also im Geiste der Samstag vor dem Rennen. Wir werden leicht nervös. 
Nervosität schärft die Sinne und gehört einfach dazu. Egal wie viele Marathonläufe man bereits absolviert hat, trotzdem wird man beim nächsten vorher nervös sein. Wir sollen die Startunterlagen am Samstag abholen, jeden Streß vermeiden, in Ruhe den Startbereich ansehen und uns auf eine rustikale Wettkampfklosituation vorbereiten. 
Der anzugtragende Herr in der Reihe vor mir prüft die Fußballergebnisse online. Mobiles Internet ist einfach ein Segen. Offenbar hat auch er bereits mehrere rustikale Klositutationen erlebt?
Vor dem Wettkampf sollen wir schlafen und wenn das nicht geht, einfach nicht verzweifeln. In den Wochen vor dem Rennen wird ordentlich geschlafen, daher ist es nicht wild, wenn die Nervosität siegt und wir nicht gut schlafen vor dem Lauf. 

Am Renntag empfiehlt Dieter Ruhe zu bewahren. Guter Tipp... nur mit der Umsetzung hapert es zumindest bei mir etwas. Rechtzeitig aufstehen und anreisen ist irgendwie eh klar. Und dann beim Startschuß spätestens aber ab Km 2 das Renntempo einnorden. Bei seinem ersten Frankfurt Marathon lief Dieter ab Km 1 sein Renntempo für 2:30h und wurde von Hunderten Läufern überholt. Bis km4 hat er sein Tempo immer wieder kontrolliert, weil ihn die Überholmanöver der anderen Läufer verwirrt haben. Auf den nächsten 5km hat er allerdings all diese Läufer wieder eingesammelt. Um die Rennpace richtig abzulaufen gibt es übrigens seit Jahren am Asiscs Stand auf der Marathonmesse ein Armbändchen mit Renntempotabelle. Dann muß man noch nicht mal denken beim laufen. Sehr praktisch. 

Wenn es schwer wird schlägt Dieter Baumann vor, dass wir nur noch in Etappen denken. Das Konzept habe ich ja nun bereits mehrfach erprobt. Bis zum Baum, bis zur Brücke und beim Wettkampf eben: bis zum nächsten Kilometer. Das macht es einfacher und führt zum Ziel. 

Wer sich während des Wettkampfs die Sinnfrage stellt hat sowieso schon verloren.

Jetzt laufen wir mit Dieter die Strecke des Frankfurt Marathons im Geiste ab. Wir teilen den Wettkampf in Abschnitte ein. Die ersten 12km bis zur ersten Brücke, dann weiter bis zur zweiten Brücke. Und dann kommt's. Einer ruft "Lücke". Dieter wiederholt "genau, Brücke" und ist total baff, als wieder "Lücke" eingeworfen wird. Das heißt ja, dass er bereits 60Minuten auf der Piste ist. Er empfiehlt Höchst und Nied zu geniessen, weil da so eine super Stimmung ist und sich dann ab Km 30 die Strecke in Etappen aufzuteilen. Wer bei Km 35 durch gelaufen ist, kommt auch ins Ziel. Er droht freundlich, dass er sich die Teilnehmerliste von heute Abend geben lassen wird und jeden der Km35 absolviert und nicht ins Ziel läuft persönlich anschreiben wird. 

Dann beschließen wir den Abend mit einem Video des Zieleinlaufs in die Festhalle. 

Wenn das Kabarett von Dieter Baumann auch nur ansatzweise so unterhaltsam ist, wie der heutige Abend würde ich es gerne mal sehen. 

Nach dem Vortrag ist, wie beim letzten Mal eine Pastaparty, und wir treffen noch 2,5Freunde. Und dann stellen wir fest, dass die Welt ein richtiges Dorf ist und jeder irgendwie jeden kennt oder zumindest schon mal voneinander gelesen hat. Ziemlich witzig. 

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